Am 31.10.2000 von Wiltrud Stoer gepostet auf <praxis-list@ecircle.de>
Liste abonnieren per Mail an: praxis-list-subscribe@ecircle.de
Liste abbestellen per Mail an: praxis-list-unsubscribe@ecircle.de
Papa, Charlie hat gesagt ...
Sohn: "Papa, Charlie hat gesagt, sein Vater hat gesagt, die Schmölders wären auch so beknackte Weihnachtskitscher ..."
Vater "Ich sage dir zum allerletzten Mal, daß ich deinen Jargon und die falsche Grammatik unerträglich finde!"
Sohn: "Was ist denn jetzt schon wieder?"
Vater "Es heißt nicht ´Schmölders wären´, sondern ´Schmölders seien´!"
Sohn: "Also Charlys Vater hat gesagt, die Schmölders seien beknackte..."
Vater "Bitte! Wer sind denn überhaupt die Schmölders?"
Sohn: "Schmölders wohnen in der vierten Etage über Charly. Sie stellen am 1. Advent einen Weihnachtsbaum auf ihren Balkon und lassen jeden Abend die elektrischen Kerzen brennen. Bis Punkt halb zehn."
Vater "Und was ist daran so fürchterlich? Hilf mir mal bitte den Baum zu halten"
Sohn: "Na, Charly sagt, er findet das kitschig mit den elektrischen Kerzen schon am 1. Advent! Stefanie Schmölders muss Heiligabend auch immer ein Gedicht aufsagen. Und Opa Schmölders weint dann. Und dann spielen sie ´Stille Nacht´ auf der Platte. Und ´Leise rieselt der Schnee´ und ´Heidschibumbeidschibumbum´ mit Peter Alexander. Und das Gedicht muß sie im weißen Kleid aufsagen mit offenen Haaren. Wie ein Weihnachtsengel."
Vater "Also schön! Mein Geschmack ist das auch nicht, aber so tolerant muß man schon sein, jeden nach seiner Facon Weihnachten feiern zu lassen. Auch die Familie Schmölders."
Sohn: "Aber die Schmölders haben ja angefangen zu meckern. Charly hat gesagt, er findet Stefanies Barbiepuppen doof. Und er findet blöd, daß sie für 240 Mark Barbie-Puppengarderobe geschenkt kriegt. Und Engelhaar am Baum findet er auch blöd. Und Charly hat gesagt, sie hätten bei sich keinen Baum, weil es schon genug ist, wenn anderthalb Millionen Tannen abgehackt werden pro Jahr. Und darum haben sie nur ´n Tannenstrauß mit kleinen Sternen dran. Und da hat Stefanies Mutter gesagt, Charlys Familie feiert ja Proleten-Weihnachten. Die hätten ja nicht mal ´nen Baum und könnten sich Geschenke nicht leisten. Und das wäre bloß Neid."
Vater "Sei!"
Sohn: "Sei bloß Neid..."
Vater "Schön, schön, schön! Und wie feiern die progressiven Charlys nun Weihnachten? Singen die neben dem umweltfreundlichen Tannenstrauß die Internationale ab und überweisen ihr 13. Monatsgehalt an hungernde Kinder in Indien?"
Sohn: "Nö, aber Charlys Vater hat gesagt, er findet das ganze Weihnachts-Brimbamborium und das fromme Getue scheinheilig. Und hat gesagt, es stinkt ihm, daß die Leute immer sagen, das ist das Fest der Liebe, und der Stern leuchtet über Betlehem. Der leuchtet über Karstadt, sagt er, und das Beste an Weihnachten wär..."
Vater "Sei!!!"
Sohn: "...sei, daß die Arbeitsämter ein paar Weihnachtsmänner vermitteln. Das bessert die Statistik im Dezember auf."
Vater "Das ist ja nun alles nicht so furchtbar neu! Die sogenannte Kritik am sogenannten Konsum-Terror! Daß Charlys Vater seinen Arbeitsplatz der Tatsache verdankt, daß wir überhaupt Konsumgüter absetzen, vergisst er wohl dabei. Dieser vernünftige Charly mit seinem vernünftigen Vater! Was ist denn nun mit dem? Kriegt der vielleicht kein Weihnachtsgeschenk?"
Sohn: "Doch, Charly kriegt ´n Fahrrad."
Vater "Na, sieh mal an! Das kostet doch mindestens 300 Mark."
Sohn: "Nee, 315 Mark. Aber da hat Charly ewig drauf gespart. 200 Mark hatte er. Und zu Weihnachten schenken seine Oma und die Eltern zusammen den Rest. Die Oma ist Klasse, 50 Mark hat die Charly geschenkt. Nur die Theaterkarte, die sie Charly geschenkt hat, die hat Charlys Vater heimlich eingetauscht. Er hat gesagt, für das Geld kann Charly etwas Vernünftigeres machen. Weil in den Weihnachtsgeschichten lassen die Dichter doch immer nur ein paar arme, kranke Kinder erfrieren, damit reiche Kinder daran erinnert werden, wie gut sie ´s haben. Und dann schenken die ein paar Spielsachen weg, die sie sowieso nicht mehr haben wollten. Das ganze Gequatsche vom Fest der Liebe, sagt er, das steht immer nur so in Büchern und Theaterstücken."
Vater "Bist du jetzt fertig mit deiner Epistel?"
Sohn: "Eigentlich nicht, aber wenn du auch mal was sagen willst ..."
Vater "Zu gütig! Aber vielleicht darf ich wenigstens soviel anmerken, daß der Sinn von Weihnachten selbstverständlich nicht in teuren Geschenken liegt, sondern in der Besinnung auf die Botschaft und die Person des Religionsstifters Jesus, dessen Geburtstag man bekanntlich am 24. Dezember feiert. Und seit ein paar Jahrhunderten bemühen sich die Christen aus aller Welt, das, was er gepredigt hat, auch zu beherzigen."
Sohn: "Was hat er denn nu gepredigt?"
Vater "Er hat Liebe gepredigt."
Sohn: "Was denn, einfach so? - Und wie hat er sich das denn vorgestellt? Sollen die guten Leute die ekligen lieben? Und die ekligen die guten? Und die ekligen die ekligen? Und die guten ..."
Vater "Nun komm mal wieder zu dir mit deinem Geschwafel! Aber im Prinzip ist es schon so. Auch wenn du es für richtig hältst, deine faulen Anmerkungen zu machen. Dieses Fest soll in der Tat alle Menschen in Liebe miteinander verbinden."
Sohn: "Aber wieso können alle Menschen auf einen Schlag gut werden, nur weil Weihnachten ist?"
Vater "Natürlich nicht! Aber Weihnachten ist eine Chance, sich auf die christliche Botschaft zu besinnen. Und man tut sich gegenseitig was zuliebe."
Sohn: "Und deswegen schenkst du Mama die goldenen Ohrclips?"
Vater "Herrgottnochmal, ich könnte Mama die Clips auch zum Geburtstag schenken. Aber da es nun mal ein Übereinkommen in unseren Kulturkreisen ist, sich Weihnachten zu beweisen, daß man aneinander gedacht hat, tu ich ´s eben am Heiligabend."
Sohn: "Naja, Charlys Oma hat sagt auch immer: Es muß feste Bräuche geben."
Vater "Offengestanden, interessiert mich in diesem Zusammenhang die Meinung von Charlys Oma nicht so sehr. Und die von Charlys Vater noch viel weniger. Und ich denke gar nicht daran, nur weil es ein paar Prinzipienreiter und Stänkerern gefällt, andere Weihnachtskitscher zu nennen, mir den Heiligabend mit Punsch und den Gänsebraten mit deprimierenden Überlegungen vermiesen zu lassen. Davon werden die Hungernden in Bangladesch nämlich auch nicht satt!"
Sohn: "Da hast du recht, Papa!"
Vater "Und ich gehe in die Christmette mit euch, und höre weihnachtliche Barockmusik, und ich verbringe ein paar besinnliche und kultivierte Festtage im Kreise meiner Familie."
Sohn: "Du Papa, hat wirklich jeder Weihnachten so eine Chance mit der Liebesbotschaft?"
Vater "Jeder, ja."
Sohn: "Auch Weitsichtige, die lispeln?"
Vater "Natürlich, Nächstenliebe sollte wohl kaum am Lispeln scheitern."
Sohn: "Auch wenn sie schrullig sind und viel reden?"
Vater "Gerade die!"
Sohn: "Und warum hast du dann Mama gesagt, es kommt gar nicht in die Tüte, daß Oma Heiligabend bei uns feiert?

Ute Blaich, Stern-Weihnachtsmagazin 78