Joke-Grabstein YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY!!!
von Wiglaf Droste
aus: junge Welt vom 19.08.1999

Die moderne Technik, so habe ich gelernt, ist eine Hilfe für den Menschen. Sie erleichtert ihm das Leben. Es ist schließlich ein Unterschied, ob man bei einem Umzug einen Aufzug zur Verfügung hat oder alles selber die Treppen hochtragen muß. Der Unterschied besteht darin, daß der Aufzug steckenbleibt. Sonntags, wenn der Notdienst bei Bier und Bockwurst im Freibad liegt.

Die Erfindung des Computers eröffnete der Menschheit eine neue Dimension der Unwürdigkeit. Ausgewachsene Menschen sieht man vor Geräten brüten. Stumpf, wie mit Ata ausgescheuert, stieren ihre Augen, Panik zermürbt ihre Herzen, Haß verzerrt ihre Züge, Verzweiflung löscht ihre Hirne aus, manchmal bis hin zur Religiosität. Oft sinken sie auf die Knie, weinend, schreiend, mit den Geräten sprechend: »Tu es doch! Warum tust du es nicht? Bitte!« Darauf folgt eine Kaskade abscheulicher Verwünschungen.

»Und er redete mit dem Vieh...«, hieß es über Franz von Assisi und später, der Graugänse wegen, über den Verhaltensforscher Konrad Lorenz. Der Mensch vor dem Computer tut es ihnen nach. Aber was heißt redet? Er brüllt, er bettelt, er fleht, er flennt, er flucht. Und das Vieh ist der Computer, so uneinsichtig und blöde wie der, der vor ihm hockt.

Unheil, dein Name ist Gates! stoßseufzt der Mensch am Gerät. Der reichste Mann der Welt ist Gates geworden mit seinen Computern, Millionen Menschen verdanken ihm Elend und tausend böse Stunden, und doch steht die Menschheit nicht auf gegen Bill Gates. Der wiederum scheint immerhin zu ahnen, was er angerichtet hat: Einen Teil seines Vermögens will der Multimilliardär für wohltätige Zwecke spenden. Die einzig wirkliche Wohltat aber verweigert der Mann: den Laden zusperren und es nie, nie wieder tun.

Ich sitze am Computer und schreibe. Plötzlich ist alles voller Ypsilons. Der ganze Bildschirm: überall Ypsilons. Sie breiten sich aus! Sie kommen auf mich zu! In rasender Geschwindigkeit. Lauter Ypsilons! Das sieht ja aus wie Keilschrift: YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY. Dafür ist Gutenberg nicht gestorben! Dutzende, jetzt schon Hunderte von Ypsilons! Der Bildschirm ist geradezu bedeckt mit Ypsilons! Warum?

Warum ist die ganz falsche Frage. Irgendein Weil interessiert jetzt überhaupt nicht. Sondern nur eins: Wie kriege ich diese verfickten Ypsilons da weg? Sie laufen immer noch! Kein Knopfdruck hilft, kein Mausklick, nichts. Ich schalte das Gerät aus: Aah, Dunkelheit, gut. Ich schalte das Gerät wieder ein: Sie sind wieder da! Und mehr als vorher! Rasende Ypsilons überall! Massen von Ypsilons auf meinem Schirm. Ich werde überfremdet von Ypsilons!

Ob beten hilft? Beten kann ich vergessen - der Draht ist lange gekappt, und jetzt mit »Lieber Gott« und »Bitte-Bitte« angelaufenzu kommen, wäre dann doch zu peinlich. Ich will ja nicht enden wie Heinrich Heine: ein Leben lang stolz als Agnostiker gelebt, aber auf dem Totenbett einen Pfaffen gerufen und ihn um Erlösung und Vergebung der Sünden angebettelt. Kein guter Abgang.

Wenn man mit Gott nicht sprechen möchte, muß man den Mann anrufen. Der Mann weiß Bescheid. Er blickt durch. Er hat den Plan. Ihn einen Gerätewart zu nennen, wäre Frevel. Er ist der wahre Gott, der Gott der Geräte. Er kann eine telefonische Ferndiagnose stellen. Wenn die nicht hilft, kommt er vorbei. Er ist ruhig und klar. Er nimmt die Angst, die Panik, die Verzweiflung, den Haß aus meinem Leben. Er gibt mir Ruhe und Kraft und Vertrauen. Wenn sein Leben einmal verfilmt wird, muß Sean Connery die Rolle bekommen. So viel Güte strahlt er aus, der Mann.

Ein Blick von ihm, und die Sache ist wieder im Lack. Dieser Mann kann Daten und damit Leben retten, »Dateien absaven«, wie er selbst sagt. Jetzt ist er da. Er sieht das Malheur. »Klemmt die Y-Taste?« fragt er. Auch Gott hat einmal klein angefangen. Er prüft das Gerät mit seinen großen Händen. Faßt es an, fest und zärtlich zugleich. »Hast du ein Gefrierfach?« fragt er mich. Ich verstehe nicht. Will er ein Eis? Jetzt? »Einfrieren!« sagt er. »Prozessor überhitzt.«

Ich trage meinen Kleincomputer zu meinem Gefrierfach und friere ihn ein. Eine halbe Stunde lang. Den letzten hatte ich noch mit der bloßen Faust erschlagen, ihn im Garten verscharrt und dann auf sein Grab gepißt. Das hatte gut getan! Einfrieren ist vergleichsweise unbefriedigend, kein wirkliches Ventil. Aber der Gott der Geräte ist kein Mensch. Er will nicht, daß man den Geräten etwas zuleide tut. Er liebt sie wirklich, sogar mit Ypsilons. Irgendwann sind die Ypsilons wieder aufgetaut. Dann kommen sie wieder. Ich weiß es. Dann werde ich den Mann nicht anrufen. Sondern die alte Methode benutzen, mit ihnen fertigzuwerden. Das mag nicht weise sein, und es ist auf Dauer auch teuer. Aber für eine kurze Zeit stellt es das ursprüngliche Paradies wieder her: ein Leben ohne Bill Gates. Und wer will auf den Preis achten, wenn ein Mann tut, was ein Mann manchmal tun muß?